Existenzielle Gefühle des Sports
16.-17. November 2023 in Frankfurt/M.
Jahrestagung dvs-Sektion Sportphilosophie
Sport ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, Gefühle zu erleben. Sport tut gut, bereitet Freude, ist spannend, weckt Neugier und macht stolz, ist aber auch mit Nervosität und Unsicherheit verbunden, ruft Sorgen und Ängste hervor, verursacht Unzufriedenheit und Ärger. Eine Eigenart des Sports scheint zu sein, dass er nicht nur solche ‚alltägliche‘ Gefühle hervorbringt, sondern ebenso regelmäßig ‚außeralltägliche‘ Gefühle. Gemeint sind damit gelegentliche, gleichwohl wiederkehrende individuelle oder kollektive Gefühle, die den gewohnten – normativ festgelegten, sozial verpflichtenden, personal erwünschten oder erhofften – Gefühlsrahmen sprengen. Um nur einige Beispiele zu nennen:
- Die lähmende Versagensangst des Athleten kurz vor dem Wettbewerb,
- der grenzenlose Hass fanatischer Fans auf die gegnerische Mannschaft,
- die maßlose Wut auf den Schiedsrichter aufgrund seiner Fehlentscheidung,
- die peinigende Demütigung der eigenen Fans nach einer blamablen Heimniederlage,
- die plötzliche Massenpanik bei einer Stadionkatastrophe,
- die tiefe Verachtung gegenüber der überführten Dopingsünderin,
- die quälende Ohnmacht der sexuell missbrauchten Athletin,
- die bodenlose Scham des unsportlichen Kindes beim Vorturnen im Sportunterricht,
- die hilflose Verzweiflung der Reiterin ob des Kontrollverlusts über ihr Pferd,
- die Todesangst des in Schwierigkeiten geratenen Bergsteigers, aber auch
- das überwältigende Rauschgefühl des Snowboarders bei der Abfahrt im Tiefschnee,
- die ekstatische Freude der Spielerinnen im Moment ihres sensationellen Triumphs,
- die kollektive Euphorie einer Region oder Nation nach dem lang ersehnten Titelgewinn.
Mit einem Ausdruck des britischen Philosophen Matthew Ratcliffe (2008) lassen sich solche außeralltäglichen Gefühle als existenzielle Gefühle bezeichnen. Existenzielle Gefühle im Sport verstehen wir dabei – anders als Ratcliffe – als fundamentale Gefühle, die das menschliche Da- und Sosein aus den Fugen heben. Existenzielle Gefühle überwältigen die von ihnen ergriffene Person so sehr, dass sie ihre „Fassung“ verliert (Schmitz 2021). Die von einem Gefühl voll und ganz bemächtige Person ist fassungslos, und ob sie ihre Fassung je wiederfindet, ist nicht gewiss. Das gilt etwa für Traumata in Folge der mit sexuellen Übergriffen einhergehenden Ängste und Schamgefühle. Existenzielle Gefühle haben in diesen Fällen eine personal transformative Kraft: Die von einem mächtigen Gefühl in ihren Grundfesten erschütterte Person ist nicht und womöglich nie mehr dieselbe, die sie vor diesem Ereignis war. Die transformative Kraft existenzieller Gefühle weist dabei sicherlich unterschiedliche Intensitätsgrade auf: Der Schock aufgrund der Niederlage in letzter Sekunde des geliebten Vereins im Champions League-Finale wird vermutlich leichter zu bewältigen sein als die wiederkehrenden Demütigungen im Sportunterricht. Ungeachtet solcher Unterschiede ist das gemeinsame Merkmal existenzieller Gefühle ihre Nachhaltigkeit. Anders als die kurzfristigen, flüchtigen Alltagsgefühle im Sport ist die Wirkkraft existenzieller Gefühle im Sport zumeist langfristig und grundlegend. Das gilt nicht nur für persönliche Gefühle, sondern ebenso für kollektive Gefühle. Für die Gemeinde der Schalke-Fans ist der Sachverhalt, dass ihr Verein 2001 lediglich „Meister der Herzen“ wurde, ein bis heute nachwirkendes, schmerzhaftes Kollektivereignis.
Mit der Jahrestagung 2023 der Sektion Sportphilosophie ist die Idee verbunden, die existenziellen Gefühle im Sport in den Aufmerksamkeitsfokus der Sportwissenschaft zu rücken. Denn obgleich Gefühle, Emotionen, Affekte, Stimmungen und Atmosphären in den verschiedenen sportwissenschaftlichen Disziplinen durchaus – mal mehr, mal weniger – thematisiert werden, spielen existenzielle Gefühle in dem beschriebenen Sinne kaum eine Rolle.
Vor diesem Hintergrund laden wir Kolleg*innen aller sportwissenschaftlichen Disziplinen ein, sich mit einem Abstract für einen Vortrag auf der Jahrestagung der Sektion Sportphilosophie zu bewerben. Der Vortrag kann theoretisch-konzeptioneller Art sein und zum Beispiel das „Außeralltägliche“ bzw. „Existenzielle“ von Gefühlen im Sport oder „Gefühle“ in Abgrenzung zu „Emotionen“ und „Affekten“ im Sport thematisieren. Er kann aber auch ein konkretes existenzielles Gefühl in den Mittelpunkt rücken und dessen Bedingungen, Erscheinungsformen und/oder Folgen analysieren. Die Bezugnahme auf philosophische Theorien oder Methoden ist wünschenswert, aber keineswegs erforderlich.
Tagungsprogramm (PDF)
Donnerstag, 16.11.2023
14.00 - 14.15 Uhr: Begrüßung & Einführung ins Tagungsthema, Prof. Dr. Robert Gugutzer
14.15 - 15.15 Uhr: „Sport als existenzielle Grenzerfahrung? Philosophische Differenzierungen“, PD Dr. Steffen Kluck
15.15 - 16.15 Uhr: „…wie eine Jacke, die zu eng ist!“ – Eine qualitative Studie über existenzielle Gefühle bei tanztherapeutischen Angeboten mit Sportstudierenden“, Dr.in Uta Czyrnik-Leber & Katharina Marx
16.15 - 16.45 Uhr: Pause
16.45 - 17.45 Uhr: „La capolista se ne va“ – Über kollektive existenzielle Gefühle am Beispiel des Mannschaftssports, Dr. Gerhard Thonhauser
17.45 - 18.00 Uhr: Pause
18.00 - 18.45 Uhr: Sektionssitzung
Freitag, 17.11.2023
10.00 - 11.00 Uhr: „Verzweiflung im Sport. Phänomenologie eines existenziellen Gefühls“, Prof. Dr. Robert Gugutzer
11.00 - 12.00 Uhr: „Depression als existenzielle Erfahrung. Soziologische Beobachtungen zur Psychotherapie mit depressiven Athleten“, Prof. Dr. Felix Kühnle
12.00 - 12.30 Uhr: Pause
12.30 - 13.30 Uhr: „Zur Ewigkeit des entleerten Augenblicks“, Prof. Dr. Chris Gaum & Joshua Kliewe
13.30 Uhr: Tagungsende
Anmeldung
Wir bitten um eine verbindliche Anmeldung zur Tagung bis 9. November 2023 bei Sabrina Hackenbracht per E-Mail: hackenbracht[at]sport.uni-frankfurt.de
Tagungsgebühr
Studierende: 15 €
dvs-Mitglieder: 45 €
dvs-Nichtmitglieder: 90 €
Tagungsort
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Institut für Sportwissenschaften (Sportcampus)
Ginnheimer Landstraße 39, 60487 Frankfurt am Main
Seminarraum 3
Anfahrt zum Sportcampus
Eine Übersicht über die Anfahrtsmöglichkeiten zum Sportcampus finden Sie hier: https://www.uni-frankfurt.de/49881040/Anfahrt
Organisation vor Ort
Prof. Dr. Robert Gugutzer
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Institut für Sportwissenschaften
Ginnheimer Landstraße 39
60487 Frankfurt am Main
Tel.: 069/798-24529
E-Mail: gugutzer[at]sport.uni-frankfurt.de