dvs-Sektion Sportmotorik
Ziele und Aufgaben
Zum Gegenstand
Gegenstand der Sportmotorik ist die wissenschaftliche Bearbeitung von Fragestellungen und Problemlagen motorischer Kontrolle des Menschen als einem aktiv handelnden gesellschaftlichen Subjekt. Im Vordergrund stehen dabei anwendungsorientierte Probleme, die aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Körperkultur und Sport erwachsen. Wesentlich erscheint aber auch die Bearbeitung grundlagenwissenschaftlicher Fragestellungen, bei denen nicht auf nachbarwissenschaftliche Arbeiten rekurriert werden kann.
Erfolgreiches Handeln im Sport ist, ebenso wie im Alltag, das Ergebnis koordinierter Muskelaktivität. Ein solches Koordinationsmuster lässt sich immer nur im Rahmen des Handlungszusammenhangs verstehen, in den es eingebettet ist. Dieser wird definiert durch die Eigenschaften der Person, der Umwelt und des Ziels bzw. der Aufgabenstellung. Die Güte der Bewegungskoordination verändert sich einerseits erfahrungsabhängig, sie unterliegt aber auch alterstypischen Einflüssen. Aus anwendungsorientierter Perspektive geht es darum, erfolgreich Interventionen (d.h. z.B. Training, Sportunterricht, Therapien) planen zu können, die auf eine Verbesserung der Bewegungskoordination abzielen. Dazu müssen die Abläufe und die Strukturen, die den motorischen Funktionen des menschlichen Organismus zugrunde liegen, ausreichend verstanden und Kenntnisse über deren systematische Veränderung gewonnen werden.
Zu diesem Zweck beschäftigen sich die Mitglieder der dvs-Sektion Sportmotorik mit den Strukturen und Prozessen, die eine koordinierte Muskelaktivität ermöglichen („motorische Kontrolle“). Hierzu sind explizit auch Wahrnehmungsprozesse, Kognitionen, Intentionen und Emotionen zu zählen, sowie deren erfahrungsabhängige Veränderung im Zusammenhang mit spezifischen Aktivitäten und Interventionen, wie z.B. Übung und Instruktion („motorisches Lernen“). Weiterhin erforschen wir Veränderungen in der Bewegungskoordination und im Lerngeschehen, die sich typischerweise im Altersgang ergeben ("motorische Entwicklung") oder die aus neurologischen bzw. traumatologisch bedingten Funktionseinschränkungen der Sensomotorik erwachsen („motorische Störungen“).
Forschungsmethoden
Zur Anwendung in der Sportmotorik kommen experimentelle und quasi-experimentelle Methoden sowie beschreibende Untersuchungen, die sich auf folgende Größen stützen
- physikalische Parameter, die den raum-zeitlichen Verlauf von Bewegungen bzw. die erreichte Leistung/den Erfolg quantifizieren.
- Messung (neuro-)physiologischer Korrelate von Bewegungen (z.B. EMG, EEG, fMRI)
- Verhaltensbeobachtung und -bewertung durch externe Beobachter
- Erfassung des subjektiven Erlebens des Ausführenden (Befragung, Interview, subjektive Beschreibung).
Internationale Anbindung
Auf internationaler Ebene existiert die „Sportmotorik“ nicht in demselben spezifischen Zuschnitt einer nur auf das Anwendungsfeld „Sport“ fokussierten motorikwissenschaftlichen Disziplin. Es gibt Tendenzen und Bestrebungen, dem im europäischen Umfeld gewählten Zuschnitt ("Movement Science") durch Erweiterung über das traditionelle Anwendungsfeld „Sport“ hinaus zu folgen und eine stärkere inhaltliche (Forschungsprogramme und -methoden) sowie strukturelle (Professuren) Annäherung an die Fachrichtungen Psychologie und Biomechanik anzustreben.
Auch der im anglo-amerikanischen Raum gängige Begriff der "Kinesiology" ist gegenüber „Sportmotorik“ weiter gefasst. Die Teilgebiete "Motor Control" and "Motor Learning" werden dort meist mit stärkerer Grundlagenausrichtung bearbeitet, als in Deutschland, und sind wissenschaftssystematisch überwiegend in der (Sport-)Psychologie angesiedelt. Obwohl eine Annäherung durch einzelne Personen und Forschungsprojekte immer wieder angestrebt worden ist und auch im Einzelfall durchaus erfolgreich umgesetzt werden konnte, operiert die Teildisziplin insgesamt "zwischen" den (fachwissenschaftlichen) Stühlen.
Auf europäischer Ebene wird dies auch daran deutlich, dass keine spezifische Fachtagung für „Sportmotorik“ existiert. Die Jahrestagungen des European College of Sport Science (ECSS) sind thematisch umfassender und haben einen deutlichen medizinisch/physiologischen Schwerpunkt; die EWOMS-Veranstaltungen (European Workshop on Movement Science) reichen eindeutig über das Anwendungsfeld Sport hinaus.
Ein dem traditionellen deutschen Verständnis von „Sportmotorik“ ähnlicher Zuschnitt einer Teildisziplin findet sich momentan nur in den noch im Wiederaufbau befindlichen Ländern Osteuropas. Hier sind in den letzten Jahren auch verstärkt bilaterale Kontakte zwischen Personen bzw. Universitäten (u.a. im Rahmen europäischer Förderungsmaßnahmen) aufgebaut worden. Doch sind auch die Orientierung des osteuropäischen Kollegen hin zum anglo-amerikanischen Wissenschaftssystem und deren zunehmend international ausgerichtetes Engagement unübersehbar. Die besten Köpfe sind inzwischen in den USA fest etabliert (z.B. Feldman, Zatsiorski, Latash). Zum Teil beherrschen sie dort das Feld und beeinflussen auch Nachwuchswissenschaftler aus ihren Ursprungsländern in starkem Maße.
Perspektiven
In der vergangenen Dekade war die dvs-Sektion Sportmotorik bemüht, in den Standards von Forschung und Lehre Anschluss an das Niveau der einschlägigen Nachbardisziplinen im Kanon der empirischen Humanwissenschaften zu erlangen. Dies ist in manchen Bereichen auch durchaus gelungen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich eine „Sportmotorik“ traditioneller Prägung sowohl im internationalen Bezug als auch im Kanon der Fächer an einer deutschen Universität zunehmend isoliert.
Ohne eine stärkere internationale und zugleich interdisziplinäre Einbindung lässt sich das erreichte wissenschaftliche Niveau auf Dauer nicht aufrechterhalten. Versuchen zur konsequenten Verfolgung und strukturellen Implementation von Forschungsprogrammen der oben genannten Art steht die Tendenz gegenüber, die Sportwissenschaft insgesamt wieder stärker pädagogisch auszurichten. Letztgenannte Tendenz könnte zurückführen zu einer neuen „Meisterlehre“. Dies entspricht eher dem Ausbildungskonzept einer Fachhochschule für Lehrer mit ihrer vorrangigen Orientierung an geprüftem Wissen, ihrer lernorientierten Ausbildungsstruktur und hat auch in der Trainerausbildung durchaus ihren Platz. Im Sinne einer forschungs- und problemorientierten Herangehensweise trägt die Teildisziplin „Sportmotorik“ zu einer besseren Integration des Faches Sportwissenschaft in die Wissenschafts- und Lehraufgaben einer Universität bei – mit einer kombinierten Strategie aus Assimilation und weiterer Profilierung. Um eine stärkere Vernetzung mit anderen universitären Fächern zu erreichen, sollten wir also zum Einen bestrebt sein, in Zukunft verstärkt Ansätze, Konzepte und Methoden aus den Nachbar- und Mutterwissenschaften in die eigenen Forschungsarbeiten zu integrieren. Zum anderen gilt es, auch die spezifischen Beiträge des Faches zum Erkenntnisgewinn und zu einer universitären Ausbildung klarer und offensiver herauszustellen. Dies darf sich jedoch nicht in einem Beharren auf spezifischen, aber mglw. überkommenen "sportwissenschaftlichen" Ansätzen (z.B. „koordinative Fähigkeiten“) erschöpfen, sondern erfordert überzeugende Forschungsprogramme, in denen die grundlegende Bedeutung des Verständnisses der Phänomene und Prozesse der menschlichen Motorik sichtbar wird.
Nur wenn wir uns diesen Herausforderungen stellen, können unsere auf den gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Angebote an den Sport dort langfristig auch Akzeptanz finden.
Nachwuchsförderung
Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Sportmotorik ist ein wichtiges Anliegen der Sektion. Die Sektion beteiligt sich hierzu an den Nachwuchsworkshops bzw. Akademien der dvs und bietet Nachwuchswissenschaftlern/innen regelmäßige Foren im Rahmen der Tagungen der Sektion.
Seit 2005 wird im Rahmen der Sektionstagung der Reinhard-Daugs-Förderpreis verliehen, den das Sportwissenschaftliche Institut der Universität des Saarlandes im Andenken an den 2003 verstorbenen Motorikforscher Prof. Dr. Reinhard Daugs gestiftet hat. Weitere Informationen zu diesem Preis und den bisherigen Preisträgern finden Sie hier.