Weser Kurier (online) vom 25.04.2016
Kommentar von Kuno Hottenrott: Traditionelle Symbolkraft für die Gesellschaft
Eine Nation wie Deutschland, die zu den reichsten Ländern der Welt zählt, muss in der Lage sein, eine breit angelegte Leistungssportkultur zu erhalten und zu fördern. Künftig nur noch in Sportarten zu investieren, die bei den Olympischen Spielen erfolgreich sein werden, wäre ein Zurückfallen in das ehemalige DDR-Leistungssportsystem.
Die Förderung des Spitzensports in Deutschland sollte möglichst vielen jungen Menschen die Chance geben, sich in ihrer favorisierten Sportart maximal zu verwirklichen, das heißt ihr genetisches Potential für Höchstleistungen mit erlaubten Methoden auszuschöpfen. Dafür bedarf es im Leistungssport-System weniger Monopolisierung und Zentralisierung, sondern mehr Dezentralisierung mit einer flächendeckenden Schaffung von wohnortnahen Trainingsstätten – mit pädagogisch und psychologisch hochqualifizierten Trainern. Investitionen in den seit Jahren vernachlässigten Sportstättenbau öffnen zugleich die Chance, die tägliche Sportstunde in den Schulen einzuführen, wie es in vielen Ländern bereits umgesetzt wird.
Leitgedanke der Spitzensportförderung darf also nicht ein rigoroses Programm für den Erfolg sein. Die Sportförderung sollte sich vielmehr auf die Rückgewinnung von Werten, Vertrauen und der gesellschaftlichen Akzeptanz des Leistungssports konzentrieren. Ziel muss die Stärkung der spitzensportlichen Repräsentanz bei internationalen Wettbewerben in möglichst vielen Sportarten sein. Die Person des Athleten, sein Trainingsfleiß, seine Motivation und weniger der Erfolg sind verstärkt in den Blick zu rücken. Es muss zwischen Leistung und Erfolg klar unterschieden werden. Sportliche Leistungen sind das Ergebnis eines langfristigen Trainingsprozesses. Sportlicher Erfolg wird aufgrund der hohen Leistungsdichte in allen Sportarten zunehmend von Zufälligkeiten geprägt.
Die Wertschätzung einer Nation wird anders als in den Zeiten des Kalten Krieges kaum im Zusammenhang mit dem sportlichen Erfolg, mit dem Rang im Medaillenspiegel bei Olympischen Spielen, Welt- oder Europameisterschaften gesehen. Deutschland würde auch ohne eine sportliche Spitzenposition als wirtschaftlich erfolgreiche Nation anerkannt sein. Die Medaillenflut der Chinesen bei den Olympischen Spielen in Peking wurde von den Menschen wegen der strengen zentralistischen Vorgaben und den vielfach inhumanen Trainingsbedingungen eher kritisch betrachtet. Der globalisierte Spitzensport der Zukunft muss wieder stärker seine traditionelle Symbolkraft für die Gesellschaft entfalten – und Werte wie Fairness, Respekt, Solidarität, Leistungswille, Fleiß, Durchhaltevermögen in den Fokus stellen.
Zur Person
Kuno Hottenrott ist Direktor des Institut für Leistungsdiagnostik und Gesundheitsförderung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2013 ist er der Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft.
Quelle: Weser Kurier online vom 25.04.2016
Ein Positionspapier des Vorstands der Schwimm- und Sportfreunde Bonn 1905 e. V.
Leistungssportsystem und Sportvereine: Warum in Deutschland der Leistungssport seine Legitimationsbasis immer weiter verliert
- Das Beispiel der SSF Bonn 1905 e.V. -
Die Strukturen des deutschen Leistungssportfördersystems stehen auf dem Prüfstand. BMI und DOSB arbeiten an neuen Konzepten, der Sportausschuss des Bundestages veranstaltete eine öffentliche Anhörung, Unternehmensberatungen erhalten Aufträge zur Erstellung einer Aufgaben- und Effizienzanalyse des DOSB (Ernst &Young) sowie zur Begutachtung des Verbundsystems Leistungssport (Kienbaum). Verschiedene Spitzenverbände haben Verbandsentwicklungsprozesse initiiert. Bundes- und Landesrechnungshöfe kritisieren die Vergabepraktiken der Leistungssportförde-rung. DOSB und Länderministerien versuchen sich an einer Veränderung der Struktur der Olympiastützpunkte. Der deutsche Gesetzgeber hat gegen den anhaltenden Widerstand des DOSB ein Antidopinggesetz verabschiedet. Athleten platzieren gegen den Willen des DOSB eine Sportlotterie und wehren sich erfolgreich vor den ordentlichen Gerichten gegen Maßnahmen der Spitzenverbände.
Gründe für dieses geschäftige Treiben scheinen uns vor allem:
- der kontinuierliche Leistungsrückgang der deutschen Olympiamannschaft seit den Olympischen Spielen 1992,
- die rückläufige Akzeptanz der rechtlichen und politischen Autonomie der Sportverbände, als Vertreter der rechtlich und politisch autonomen Sportvereine sowie der Menschen, die sich in ihnen freiwillig zusammenschließen,
- die fortgeschrittene Ökonomisierung des Spitzensports und der (internationalen) Wettbewerbe,
- mangelnde Managementfähigkeiten von Verbänden, z. B. für alle verbindliche Regelungen klar und transparent im Verband und gegenüber der Öffentlichkeit zu kommunizieren, zu vereinbaren und einzuhalten,
- fehlender gesellschaftlicher Rückhalt des Spitzensports in der deutschen Bevölkerung, der sich vor allem in zwei gescheiterten Volksentscheiden zur Ausrichtung Olympischer Spiele ausdrückt,
- Versuche, auf wahrgenommene gesellschaftliche Veränderungen zu Ungunsten des Spitzensports (z.B. Stellenwert von Bildung; Erlangung auskömmlichen Einkommens; vielfältige Möglichkeiten gesellschaftlichen Aufstiegs; breites Angebot an Freizeitaktivitäten; abnehmende Bedeutung streng transitiver sozialer Vergleiche) zu reagieren, sowie
- der Wunsch, angesichts der negativen internationalen Einflüsse Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
Aus der Beobachterperspektive eines dem Leistungssport verpflichteten Sportvereins erstaunt uns, wie hartnäckig DOSB und Spitzenverbände für uns offensichtliche Entwicklung an der Sportbasis ausblenden und aufkommende kritische Argumente (z.B. DTTB-Positionspapier zur Sportförderung 2012; empirische Ergebnisse zur Effizienz der Spitzensportförderung; Modelle zur Prognose von Medaillengewinnen bei Olympischen Spielen; Effizienzbetrachtungen zur Sportförderung der Bundeswehr) nicht für uns erkennbar zur Kenntnis nehmen.
Für uns offensichtliche Entwicklungen, die nach unserer Kenntnis keine bzw. eine zu geringe Resonanz in den Diskussionen zur Verbesserung der Leistungssportförderung erfahren, lassen sich in den folgenden Punkten zusammenfassen und am Beispiel der SSF Bonn verdeutlichen (wobei die Reihenfolge keine Wertung beinhaltet):
1. Doppelte Umverteilung zugunsten des Wettkampf- und Leistungssports
...
2. Entkoppelung von Spitzen- und Breitensport
...
3. Vernachlässigung der Sportstättenbasis
...
4. Steuerungsphantasie der Sportverbände gegenüber Sportvereinen
...
5. Spitzenverbandliches Monopolgebaren gegenüber Trainern, Sportlern und Eltern
...
Den gesamten Inhalt des Positionspapier des Vorstandes der SSF Bonn 1905 e. V. können Sie HIER (PDF) herunterladen.