Am 17. Juni 2023 ist der renommierte Sportwissenschaftler und Sportpädagoge Prof. Dr. Knut Dietrich im Alter von 87 Jahren von uns gegangen. Die Sportwissenschaft verliert damit einen bedeutenden Vertreter ihrer Zunft, der in dem jüngst erschienenen Band „Gelebte Sportpädagogik“ (Balz & Kuhlmann, 2023) als eine der prägenden Figuren der Sportwissenschaft gewürdigt worden ist.
Knut Dietrich lehrte von 1973 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 an der Universität Hamburg. Dabei war er maßgeblich am Aufbau des Instituts, später Fachbereich für Sportwissenschaft, beteiligt und prägte dessen sportpädagogische Ausrichtung. Seine Forschung war hochgradig innovativ und verfolgte stets den Anspruch, die pädagogische und gesellschaftliche Praxis zu verbessern. Er gilt auch heute noch als einer der wirkungsmächtigsten und bedeutsamsten Vertreter der kritischen Sportpädagogik.
Sein mit Gerhard Landau verfasstes Werk „Sportpädagogik: Grundlagen – Positionen – Tendenzen“ war über viele Jahre das Standardwerk der Sportpädagogik und auch heute kann die Lektüre noch wärmstens empfohlen werden. Den Autoren war es besonders wichtig, herauszuarbeiten, dass sportive Praktiken nicht per se pädagogisch bedeutsam sind. Vielmehr sei es Aufgabe der Sportpädagogik, pädagogisch bedeutsame Inszenierungen als Gegenstand der Disziplin zu identifizieren. Dies sollte in Form einer anthropologisch und sozialhistorisch fundierten Lebensweltanalyse erfolgen. Diese Perspektive und die in diesem Zusammenhang diskutierte qualitative Forschungsmethodologie kann als ein wichtiger Impuls für eine kritische und qualitativ-empirische Sportpädagogik betrachtet werden.
Bereits in den 1960er Jahren unternahm Knut Dietrich gemeinsam mit Gerhard Landau kameraethnografische Studien zum freien Bewegungsleben von Kindern in Frankfurt am Main. Diese inzwischen zeithistorisch bedeutsamen Dokumente bildeten u. a. eine wichtige Grundlage für die spielgemäße Methode der Sportspielvermittlung. So zergliederte Knut Dietrich das Sportspiel Fußball in Grundsituationen und sah dessen spielgemäße Entwicklung mithilfe der im Feld beobachteten Spiele der Kinder vor. Mit seinen Veröffentlichungen und Herausgeberschaften prägte er maßgeblich die deutsche Sportspieldidaktik und wurde daher völlig zurecht jüngst von Stefan König als „Deutschlands erster Sportspieldidaktiker“ (König, 2023) gewürdigt.
Knut Dietrich allerdings war allerdings auch kritisch mit sich selbst. So wies er im Vorwort der sechsten Auflage seines Buches „Fußball, spielgemäß lernen – spielgemäß üben“ darauf hin, dass seine Spieldidaktik zwar weiterhin zu empfehlen sei, er aber das zentrale Phänomen bisher vernachlässigt habe. Nämlich den Prozess, in dem Kinder ihre Spiele gestalten und an die jeweiligen personalen, sozialen und materialen Bedingungen anpassen. Dieser bereits in seinen Überlegungen zur allgemeinen Spielfähigkeit aufgegriffene Gedanke prägte die späten zum Teil nicht publizierten Arbeiten zu einer bewegungsbezogenen Sozialisationsforschung.
Sicherlich auch aus dieser Einsicht heraus gründete Knut Dietrich 1996 das „Hamburger Forum Spielräume“, einen Verein, der sich in interdisziplinärer Perspektive und im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis dem Spiel von Kindern in der Stadt widmete. Mit seiner unaufdringlichen, äußerst konstruktiven, problemorientierten und verständnisvollen Art gelang es ihm, unterschiedlichste Akteur:innen an einen Tisch zu bringen und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zu bewegen. Ziel dieser „Initiative für Kinder in der Stadt“ war es, Kindern im städtischen Umfeld selbständig nutzbare und gestaltbare Bewegungsräume bereitzustellen, um eine positive und gesunde Entwicklung zu befördern. Dieser Verein wird noch heute von Pädagog:innen, Landschaftsarchitekt:innen, Stadtentwickler:innen und Forscher:innen getragen und leistet wertvolle Arbeit für Kinder und Jugendliche in der Stadt.
Hier wird deutlich, dass dieser innovative und wirkmächtige Forscher zugleich ein gesellschaftlich engagierter, verantwortungsvoller und nahbarer Mensch gewesen ist. Für viele war Knut Dietrich ein väterlicher Freund und ein Mentor, den man in fachlichen und in persönlichen Fragen gerne zu Rate zog. Denn Knut war wahrlich weise, er konnte sehr gut zuhören, sehr gut fremdverstehen und besaß die Gabe, in unaufdringlicher Art und Weise hervorragende Ratschläge geben zu können. Nicht selten habe ich selbst Knut angerufen, wenn ich vor privaten Problemen oder Entscheidungen stand. Sehr gerne denke ich daran zurück, wie wir bei ihm zu Hause in seinem „Fußballzimmer“ (hier pflegte Knut Fußball zu gucken), welches über einen runden Besprechungstisch und ein Fenster mit Blick auf seinen Garten verfügte, fachliche Fragen diskutierten und uns gegenseitig Spiel- und Bewegungsszenen von Kindern in seinem Garten konstruierten, um uns geeignet erscheinende Bezugstheorien zu illustrieren.
Es ist unmöglich, einem Menschen wie Knut in einem kurzen Nachruf gerecht zu werden. Es ist mir aber hoffentlich gelungen, einen Eindruck davon zu vermitteln, welch bedeutender Forscher und vor allem Mensch Knut Dietrich gewesen ist. Die Sportwissenschaft hat einen wichtigen Vertreter verloren, ich persönlich einen väterlichen Freund und Mentor.
In Dankbarkeit,
Jan Erhorn
Literatur
Balz, E. & Kuhlmann, D. (2023). Gelebte Sportpädagogik. Feldhaus.
König, S. (2023). Knut Dietrich: Deutschlands erster Sportspieldidaktiker. In E. Balz & D. Kuhlmann (Hrsg.), Gelebte Sportpädagogik (S. 37-44). Feldhaus.