dvs-Erklärung zum Doping
Stellungnahmen der dvs-Mitglieder bis 15.5.2006 erwünscht
Der Vorstand der dvs hat eine neue Erklärung zum Doping entworfen. Mit dieser soll nach 15 Jahren die Erklärung von 1991 aktualisiert werden. Da eine fast unüberschaubare Anzahl von Erklärungen diverser Organisationen existiert, sollen die drei für die dvs-Erklärung leitenden Gedanken vorangestellt werden:
- Die Erklärung vertritt konsequent die Perspektive einer wissenschaftlichen Vereinigung: Was ist aus der Sicht der dvs zum Thema anzumerken?
- Das Thema Doping wird deshalb vor allem als wissenschaftlicher Gegenstand gesehen, was bedeutet, dass es möglichst vorurteilsfrei betrachtet wird, ohne jedoch auf eine eindeutige Verurteilung (mit Begründung) zu verzichten.
- Die im Papier abgeleiteten vier Forderungen werden wiederum aus der Sicht der dvs erhoben. Sie betreffen die Initiierung von entsprechenden Forschungsprojekten, das Dopingkontrollsystem soll nicht zu Lasten der sportwissenschaftlichen Forschungsförderung finanziert werden und schließlich das Verhalten der dvs bei Bekanntwerden einer Dopingverwicklung eines ihrer Mitglieder.
Der nachfolgend veröffentlichte Vorstandsentwurf (hier als PDF) wurde bisher sportrechtlich abgestimmt, der Sektion Sportmedizin (DGSP) zur Kenntnis gebracht und vom Vorstand gebilligt. Sie geht nun dem Ethik-Rat der dvs zur Prüfung zu, und alle dvs-Mitglieder werden bis 15.5.2006 um Rückmeldungen, Stellungnahmen und ggf. Änderungswünsche gebeten. Nutzen Sie für Ihre Rückmeldungen das Online-Formular oder schicken Sie Ihre Kommentare an die dvs-Geschäftsstelle.
Die Rückmeldungen werden dann vom Vorstand in einen endgültigen Entwurf eingearbeitet, der vom Hauptausschuss im Herbst 2006 verabschiedet und entsprechend veröffentlicht werden soll.
Prof. Dr. Martin Lames
dvs-Vizepräsident Leistungssport
dvs-Erklärung zum Doping (Entwurfsfassung vom 13.12.2005)
[Druckfassung des Textes als PDF-Datei hier]
1. Verurteilung von Doping
Die dvs verurteilt Doping!
Doping ist ein Verstoß gegen das sportliche Prinzip der Chancengleichheit. Die Regeln untersagen Doping aus guten Gründen:
- Die Gesundheit der Sportler wird durch die Doping-Regeln geschützt. Dies geschieht zusätzlich zur Verantwortung des Sportlers für die eigene Gesundheit. Weil im Hochleistungssport hohe gesundheitliche Risiken eingegangen werden, um möglichst konkurrenzfähig zu sein, ist die Verankerung des gesundheitlichen Schutzes in den Doping-Regeln erforderlich.
- Der Sinn der Doping-Regeln besteht auch darin abzusichern, dass die Leistung der Sportler als individuell erbrachte, auf der Basis von Anlage und Training erreichte Spitzenleistung gelten kann. Auf dem Erhalt dieses Deutungsmusters sportlicher Leistungen basiert die Vorbildwirkung des Hochleistungssports, welche beispielsweise die Unterstützung der öffentlichen Hände legitimiert und das wirtschaftliche Interesse an Werbung und Sponsoring im Sport begründet. Der Kampf gegen Doping ist also entscheidend für das Image und die Zukunft des Hochleistungssports.
- Schließlich ist Doping schlicht Betrug. Im Hochleistungssport ist das Hauptmotiv die Erzielung von Einkünften durch das Sporttreiben. Wenn dazu illegale Praktiken eingesetzt werden, ist dies als Betrug im juristischen Sinne zu verstehen.
2. Verbreitung von Doping
Die dvs weist darauf hin, dass Doping ein in vielen Sportarten und vielen Ländern verbreitetes Phänomen ist, dessen Auftreten sich in seiner Häufigkeit keinesfalls als rückläufig erweist.
- Doping ist wahrscheinlich in vielen Sportarten als regulärer Bestandteil der Leistungsstruktur zu betrachten. Der Leistungsstand, die Leistungsentwicklung und die immer wieder auftretenden Dopingfälle lassen hier jede andere Deutung als naiv erscheinen.
- Es gibt Hinweise darauf, dass die Dopingkontrollpraktiken in verschiedenen Ländern unterschiedlich streng gehandhabt werden. Dopingkontrolle ohne ernsthafte Kollaboration der Staaten ist zum Scheitern verurteilt!
- Die Dopingpolitik zwischen den einzelnen Spitzenverbänden unterscheidet sich ebenfalls. Ohne eine Mitwirkung der Spitzenverbände ist eine wirksame Eindämmung von Doping nicht möglich. Die Verpflichtung auf den WADA-Code ist aus Sicht der dvs eine notwendige und richtige Maßnahme zur Bekämpfung von Doping besonders auf der Ebene von Staaten und Verbänden.
- Es ist zu konstatieren, dass sich ein Wettlauf zwischen der Entwicklung von Dopingmitteln und deren juristisch verwertbarem analytischem Nachweis entwickelt hat. Immer wieder werden ganz neue Doping- und Dopingverschleierungsmittel eingesetzt. Neue Technologien machen es möglich, Präparate so zu verändern, dass sie bei gleicher Dopingwirkung den bisherigen Stand der Analytik umgehen. Dieser Wettlauf zwischen Dopingentwicklung und Dopinganalytik wird eine neue Qualität erreichen, wenn die Gentechnologie konsequent auf die Entwicklung von Dopingmitteln angewendet wird.
- Die Verbreitung von Doping hat ein äußerst aufwändiges Netz der Dopingkontrolle und ein juristisches System zur rechtlich verbindlichen Sanktionierung von Dopingvergehen erforderlich gemacht. Die Ausgaben der öffentlichen Hand für Dopingkontrollen stehen in einem krassen Missverhältnis beispielsweise zur sportwissenschaftlichen Forschungsförderung.
3. Ursachen von Doping
Da in der dvs fast alle sportwissenschaftlichen Disziplinen vertreten sind, die sich wiederum in der Mehrzahl bereits mit der Erforschung von Dopingphänomenen befasst haben, liegt bereits eine Reihe von Erkenntnissen über die Ursachen von Doping vor. Dabei besteht eine der wichtigsten Einsichten darin, dass man zum Verständnis der Ursachen von Doping einen interdisziplinären Ansatz verfolgen muss:
- Es greift beispielsweise viel zu kurz, wenn man das Problem ausschließlich aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive betrachtet, etwa im Sinne der Wirkungsweisen von Dopingmitteln oder deren Nachweis im Körper. Auch die juristische Handhabung von Doping, etwa bei der Dopingdefinition und der fast ausschließlichen Sanktionierung von Sportlern, wird dem komplexen Bedingungsgefüge nicht gerecht.
- Aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht wurden Funktionen und Strukturen des sozialen Systems Sport beschrieben, die eine Dopingpraxis hervorrufen. Dabei spielen neben Medien, Wirtschaft und Politik als ressourcengebende Institutionen auch Sportverbände, Sportfördersystem und Trainer als Institutionen, die Anforderungen definieren, eine gewichtige Rolle. Die Entscheidung des einzelnen Sportlers erfolgt vor diesem komplexen Hintergrund und ist wiederum abhängig von dessen Sozialisation, seiner Motivation zum Leistungssport und weiteren psychologischen Einflussgrößen.
- Neben einer Beschäftigung mit den direkten Kausalketten, die zum Doping führen, muss man aus geisteswissenschaftlicher Sicht fragen, ob nicht allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen oder die Karriere von Werthaltungen in der Gesellschaft der Verbreitung von Doping Vorschub leisten. Gibt es nicht viele Bereiche, in denen die Leistung losgelöst von deren Zustandkommen und Nebenwirkungen bewertet wird? Was erklärt die zunehmende Attraktivität von Dopingmitteln für Nicht-Leistungssportler, insbesondere für Jugendliche?
- Wenn die Ursachen von Doping eng mit den Strukturen und Funktionen des sozialen Systems Sport verwoben sind und möglicherweise sogar mit dem Wertehorizont unserer Gesellschaft korrespondieren, dann wird es keine schnelle und einfache Lösung des Problems geben. So stellen weder die vollständige Freigabe von Doping noch der "gläserne Athlet" praktikable Lösungen dar. Es wird auf absehbare Zeit beim Wettlauf zwischen Dopingentwicklung und -analytik bleiben. Wir werden auch in Zukunft eine hohe Kontrolldichte und wirksame Sanktionen brauchen, um das Phänomen Doping auch nur hinreichend eindämmen zu können.
4. Forderungen der dvs
Aus der Verurteilung von Doping, seiner offensichtlichen Verbreitung und in Anbetracht seiner komplexen Ursachen ergeben sich vier Forderungen der dvs:
- Es ist seitens der öffentlichen Hand ein Forschungsschwerpunkt "Ursachen von Doping" einzurichten und zu unterstützen, in dem interdisziplinär das Phänomen in seiner Komplexität behandelt wird. Die trainingswissenschaftlichen, medizinischen und juristischen Perspektiven sind dabei zu ergänzen durch psychologische, soziologische und ethische Betrachtungen des Themas.
- Auf der Basis der Erkenntnisse aus diesen Forschungen müssen Aktivitäten zur wirksamen Dopingprävention gestartet werden. Dabei erscheint es sinnvoll, auf Ansätze der Evaluationsforschung zurück zu greifen, um das Konzept, die Implementation, die Wirksamkeit und die Effizienz von Projekten zur Dopingprävention zu bewerten.
- Eine weitere Forderung besteht darin, das Dopingkontrollsystem nicht zu Lasten der sportwissenschaftlichen Forschung zu organisieren. Die Bekämpfung von Doping darf nicht auf dem Rücken der wissenschaftlichen Unterstützung des Leistungssports in Deutschland erfolgen, da dies seine Konkurrenzfähigkeit noch weiter einschränken würde.
Es wird vorgeschlagen zu prüfen, ob nicht viel stärker als bisher die Organe der staatlichen Strafverfolgung mit Doping zu befassen sind. Das Arznei- und Betäubungsmittelgesetz sowie der Sachverhalt des Betrugs bieten dafür ausreichend Handhaben, wie der internationale Vergleich zeigt. Außerdem wird angeregt, einen speziellen Doping-Betrugstatbestand zu schaffen, der zweifelsfrei klarstellt, dass alle Formen des Dopings unter den Betrugstatbestand fallen. - Die dvs fordert von ihren Mitgliedern, sich ihrer besonderen Verantwortung im Zusammenhang der Dopingproblematik bewusst zu werden. Vielfach beeinflussen unsere Mitglieder die Meinungsbildung von Athleten, Trainern und Verbänden und können so Zusammenhänge und Zwänge aufdecken und ihnen offensiv entgegentreten. Der Vorstand der dvs verpflichtet sich seinerseits, alle Fälle, in denen die Beteiligung eines dvs-Mitgliedes an einem Dopingfall bekannt wird, vor die Ethik-Kommission der dvs zu bringen. Das Ergebnis der Untersuchungen des Ethik-Rates wird allen Mitgliedern zur Kenntnis gebracht.
Verabschiedet vom dvs-Hauptausschuss am xx.xx.2006.