Mit dem Tod Ommo Grupes verliert die Sportwissenschaft eine Persönlichkeit, die nahezu 50 Jahre zur fachlichen Gründung und Fortentwicklung in Deutschland maßgeblich und mitunter entscheidend beigetragen hat. Sein Wirken hat universitäre Strukturen wie auch inhaltliche Orientierungen ermöglicht, die den fachlichen Kern der Sportwissenschaft bis heute prägen. Diese kohäsive Kraft wird uns künftig fehlen.
Angesichts der vielfältigen Impulse, die Ommo Grupe im wissenschaftlichen Diskurs zugeschrieben werden müssen und hinsichtlich seines produktiven Engagements in verschiedenen Gremien des Sports ist es nicht verwunderlich, dass seine Würdigung schnell überfordert. Dem entsprechend haben mit Elke Grimminger, Michael Krüger und Dietrich Kurz drei Generationen des sportwissenschaftlichen Kollegiums ihre jeweiligen Perspektiven zu Papier gebracht (Download, PDF).
Bernd Gröben (Sprecher der dvs-Sektion Sportpädagogik)
Nachruf Ommo Grupe
Die sportpädagogischen Nachwuchswissenschaftler/innen trauern um Ommo Grupe, den Wegbereiter der Sportwissenschaft und insbesondere der Sportpädagogik als Wissenschaftsdisziplin.
Ommo Grupe galt jedoch nicht nur als Nestor der Sportwissenschaft, sondern zeichnete sich immer auch durch eine wertschätzende und interessierte Haltung gegenüber dem wissenschaftlichen Nachwuchs aus. Die Förderung sportpädagogischer Nachwuchswissenschaftler/innen lag ihm am Herzen.
Auch wenn ich leider nur sehr wenige persönliche Begegnungen mit Ommo Grupe hatte, kann ich mich noch sehr gut an eine Situation bei der dvs-Sportpädagogik-Tagung in Bielefeld 2010 erinnern: Ommo Grupe und ich wurden als critical friends der Tagung ausgewählt und sollten bei der Abschlussveranstaltung Lob und Verbesserungsvorschläge aussprechen. Als noch sehr junge Nachwuchswissenschaftlerin behagte mir die Vorstellung nicht so ganz neben dem großen Sportpädagogen zu stehen und meine Sicht als vergleichsweise unerfahrene Nachwuchswissenschaftlerin zu äußern. Aber Ommo Grupe nahm mir durch seine menschliche und zugewandte Art jegliche Zweifel. In dem kurzen abstimmenden Gespräch darüber, wie wir die Rückmeldungen präsentieren wollten, betonte er die Bedeutsamkeit der Perspektive des wissenschaftlichen Nachwuchses. Sinngemäß sagte er, dass wir die Zukunft der Sportwissenschaft seien und sich deswegen die Etablierte(re)n um uns kümmern müssten. Auch bei der öffentlichen Abschlussveranstaltung machte Ommo Grupe eindrücklich – und auch mahnend – darauf aufmerksam, dass und warum die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessert und gestärkt werden müsse.
In diesem Sinne verlieren die sportpädagogischen Nachwuchswissenschaftler/innen mit dem Tod von Ommo Grupe nicht nur den Wegbereiter der Sportwissenschaft, sondern auch eine zentrale Person, die sich immer wieder öffentlich für die Belange und Interessen des wissenschaftlichen Nachwuchses eingesetzt hat.
So ist nicht umsonst einer der bedeutendsten sportpädagogischen Nachwuchspreise, der Ommo-Grupe-Preis, für besonders ausgezeichnete Dissertationen und Habilitationen, nach ihm benannt. Damit wird Ommo Grupe auch weiterhin wichtiger Teil des sportpädagogischen Nachwuchses bleiben und zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses beitragen.
Elke Grimminger
(Sprecherin des Wissenschaftlichen Nachwuchs im Sprecherrat der dvs-Sektion Sportpädagogik)
Ommo Grupe und seine Vision des Sports
„Für einen besseren Sport“ war der Titel eines umfangreichen Sammelbandes, den Hartmut Gaber und Ulrich Göhner aus Anlass des 60. Geburtstages von Ommo Grupe im Jahr 1990 herausgaben. Ich hatte die Ehre, sowohl als Autor an diesem Band mitzuwirken als ihn auch redaktionell zu verantworten. Mit dem Band und seinem Titel sollte ausgedrückt werden, dass und welche Visionen Ommo Grupe von der Zukunft eines humanen Sports und einer pädagogisch fundierten Sportwissenschaft hatte.
Grupe stand damals auf dem Höhepunkt seines beruflichen Wirkens. Seine Vision eines „besseren Sports“ schien alles in allem möglich zu sein. Die Saat seines unermüdlichen Engagements für den Sport, für die wissenschaftliche Begleitung und Erforschung des Sports, für einen humanen Sport, für „mündige Athleten“, Fair Play und einen anspruchsvollen Schul- und Vereinssport, der in Politik, Öffentlichkeit, Kultur und Wissenschaft gebührende Anerkennung findet, schien aufzugehen. Dank Grupe galt das Sportinstitut in Tübingen als Zentrum und Mekka der deutschen Sportpädagogik und Sportwissenschaft. In Tübingen wurde die Zeitschrift Sportwissenschaft herausgegeben, damals eine weltweit verbreitete und anerkannte Fachzeitschrift für alle Gebiete der Sportwissenschaft(en). Viele ausländische Kollegen kamen nach Tübingen, um bei Ommo Grupe moderne Sportpädagogik zu studieren. Von Tübingen gab es direkte Leitungen nach Frankfurt zum DSB und NOK für Deutschland, nach Bonn zum Bundesinstitut für Sportwissenschaft und ins Bundesinnenministerium, nach Köln zur Deutschen Sporthochschule und natürlich zu den meisten deutschen Hochschulinstituten für Sport und Sportwissenschaften. Dort versuchten ehemalige Doktoranden und Habilitanden von Ommo Grupe umzusetzen, was sie in Tübingen gelernt hatten.
Den Begriff „Schüler“ wollte Ommo Grupe übrigens nicht benutzen. Er vertrete keine „Schule“, hat er stets versichert. Deshalb habe er auch keine „Schüler“, sondern Studenten, Mitarbeiter, Assistenten und Kollegen (und viel zu wenige -innen, wie er vor allem später immer bedauerte) unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlichen Fächern und Disziplinen und mit ganz unterschiedlichen Charakteren, die voneinander lernen können, wenn sie wollen, und das gemeinsame Ziel haben – so glaubte und hoffte er – an der Vision eines „besseren Sports“ zu arbeiten. Viele von ihnen, aber längst nicht alle, kamen 1990 in dem genannten Sammelband zu Wort.
Ommo Grupe hat als erster ordentlicher Professor und Lehrstuhlinhaber für „Theorie der Leibeserziehung“ in der Bundesrepublik Deutschland die moderne Sportpädagogik und Sportwissenschaft auf der Grundlage der Philosophischen Anthropologie begründet. Er hat es über viele Jahre geschafft, die verschiedensten wissenschaftlichen Gebiete zu einer Sportwissenschaft zusammenzuführen und dieses Fach an den Universitäten und in der akademischen Kultur insgesamt hoffähig zu machen. Er versuchte, Sport und Sportwissenschaft mit anderen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen und Institutionen zu vernetzen, mit Kirchen und Gewerkschaften, Bildungseinrichtungen, politischen Parteien und Jugendorganisationen. Theorie und Praxis des Sports gehörten für ihn zusammen. Er war zeit seines Lebens ein begeisterter Sportler und spielte bis zum Schluss mit seinen Tübinger Freunden und Kollegen regelmäßig Tennis. Eine besondere Leistung besteht darin, dass er sein pädagogisches Modell des Sports und der Sportwissenschaft international verbreitete. Am eindrucksvollsten geschah dies anlässlich des Olympischen Kongresses 1972 in München. 1998 verlieh ihm das Internationale Olympische Komitee seinen Ethikpreis. Ethik und Moral im Sport standen im Mittelpunkt seines Denkens und Handelns. Das gemeinsam mit dem Theologen Dietmar Mieth in Zusammenarbeit mit den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland herausgegebene „Lexikon der Ethik im Sport“ (Schorndorf 1997) ist Ausdruck dieses Bemühens um einen fairen und humanen Sport.
Was ist aus dieser Vision geworden? Wer Grupe in den letzten Jahren erlebt und begleitet hat, auch seinen letzten öffentlichen Auftritt anlässlich der Verleihung des Wissenschaftspreises des DOSB 2011 in Tübingen, wo er vom damaligen DOSB- und heutigen IOC-Präsidenten Bach besonders geehrt wurde, konnte sehen, dass er selbst an der Nachhaltigkeit seines Wirkens für den Sport zweifelte. Zu Grupes großem Bedauern hatte der DOSB die Carl-Diem-Plakette des DSB abgeschafft und zum Wissenschaftspreis des DOSB umbenannt. Für Grupe bedeutete das mehr als nur eine Namensänderung. Er wertete dies als eine Abkehr von den Traditionen des Sports in Westdeutschland nach 1945, die auch er selbst mit gestaltet hatte.
Zu Ommo Grupes Ernüchterung haben viele Entwicklungen in Sport und Sportwissenschaft beigetragen. An dieser Stelle können nicht alle genannt werden. Seine größte Enttäuschung war die Einsicht, dass Doping den Sport insgesamt und schon seit langem weitaus stärker heimgesucht hat, als er sich das selbst vorstellen konnte oder wollte. Der Prozess der allmählichen, aber unaufhaltsamen Zerstörung seiner Vision durch Doping begann bereits in den 1970er Jahren, nach den Olympischen Spielen von Montreal. Damals glaubte er noch, dem moralischen Verfall des Sports entgegenwirken zu können. Die Grundsatzerklärung für den Spitzensport von 1977 war Ausdruck dieser Hoffnung. Mit dem Tod Birgit Dressels 1987, dann den Enthüllungen des DDR-Dopings, der Dopingaffäre Baumann direkt vor der Haustür in Tübingen und schließlich den Dopingskandalen in und um Freiburg wurde dieser Glaube nachhaltig zerstört. Die in Teilen exzessive Kommerzialisierung und Professionalisierung des Sports beschleunigte seiner Auffassung nach die moralische Krise des Leistungs- und Spitzensports. Der Sport verlor seine Sinnmitte. Er entfernte sich von seinem ethisch-moralischen Kern. Einen Ausweg sah Grupe nicht (mehr).
Ein anderer, aber damit zusammenhängender Punkt hat mit der Entwicklung der Sportwissenschaft zu tun. Sie sollte und musste seiner Auffassung nach „kritisch“ sein, dem realen Sport auf die Finger sehen, ihm nahestehen und doch auf Distanz zu ihm gehen, auf jeden Fall mehr sein als affirmative, technologische Forschung für den Spitzensport. Den Bedeutungsverlust der Sportpädagogik, wie er sie verstand, nahm er mit wachsender Resignation zur Kenntnis. Zu einer kritischen und geisteswissenschaftlich fundierten Sportpädagogik und Sportwissenschaft gehörte seiner Auffassung nach ein differenziertes Wissen um die Geschichte der Leibeserziehung und des Sports. Ohne systematische sporthistorische Forschung gibt es das nicht. Sie ist jedoch in der deutschen Sportwissenschaft nach der deutschen Wiedervereinigung Schritt für Schritt marginalisiert worden. Von außen wird das Fach inzwischen nicht mehr als geisteswissenschaftliche Disziplin wahrgenommen, sondern als „anwendungsorientierte Wissenschaft“ bzw. technisches Fach, wie der Historiker Wolfram Pyta schon vor Jahren in einem Beitrag für die Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU 61 (2010), H 7/8, S. 388) bemerkte.
Selbst wenn sich seine Vision eines besseren Sports und einer geisteswissenschaftlich orientierten Pädagogik des Sports nicht erfüllt hat, wird Ommo Grupe durch sein Leben und Wirken für die Menschen im Sport als großes Vorbild in Erinnerung bleiben.
Michael Krüger
Ommo Grupe und die Begründung einer Sportwissenschaft in Deutschland
Dies ist ein sehr persönlicher Nachruf, denn für den Versuch einer umfassenden Würdigung ist es noch zu früh, braucht es mehr Distanz. Aus Schmerz und Trauer über den Verlust eines lieben Menschen, eines verehrten Lehrers und väterlichen Freundes, wird mir erst allmählich bewusst, was er mir war und was er allen, die den Sport lieben, mitgegeben und aufgetragen hat.
In der großen Trauergemeinde, die am 5. März auf dem Tübinger Bergfriedhof von Ommo Grupe Abschied nahm, hat mich besonders berührt, wie viele gekommen waren, die sich noch jetzt dankbar daran erinnern, was er ihnen in den 1960er und 1970er Jahren bedeutet hat. Mehrere, die damals bei ihm in Tübingen studiert haben und dann in die pädagogische Praxis gegangen sind, das Fach Sport an der Schule unterrichtet und am Studienseminar vertreten haben, drückten es etwa so aus: Bei ihm, Ommo Grupe, hätten sie gelernt zu verstehen, wie wichtig das ist, wofür wir mit unserem Fach in der Schule, im Zusammenhang der Bildung stehen.
Solche Zeugnisse scheinen mir, zumal in einem Nachruf für die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs), einen zentralen Punkt zu berühren: Wenn Ommo Grupe heute mit großer Übereinstimmung als Begründer der deutschen Sportwissenschaft gewürdigt wird, sollte dabei immer mit bedacht werden, dass er die Sportwissenschaft, für die er sich einsetzte, als eine Wissenschaft in praktischer, im weiteren Sinn pädagogischer Verantwortung gesehen hat. Nicht nur technologische Optimierungswissenschaft, aber auch nicht nur interpretierende Kulturwissenschaft solle die Sportwissenschaft sein, sondern eine Wissenschaft, die dazu beiträgt, das humane Potential des Sports zu verstehen, zu entfalten und gegen Gefährdungen zu verteidigen. Anthropologische Grundlegung und ethische Vergewisserung sind nicht nur nahe liegende, sondern unverzichtbare Elemente einer derartigen Sportwissenschaft.
Als Dr. Ommo Grupe im Jahr 1960, noch nicht einmal 30 Jahre alt, zum Direktor des Instituts für Leibesübungen der Universität Tübingen ernannt wurde, übernahm er damit Verantwortung für die Ausbildung zukünftiger Gymnasiallehrkräfte im Schulfach „Leibeserziehung“. Diesem Schulfach entsprach – anders als in den „wichtigen“ Schulfächern – noch keine akademische Disziplin, keine universitäre Wissenschaft. Grupe selbst hatte nach dem Diplomstudium an der Deutschen Sporthochschule Köln mit einer Arbeit „Leibesübung und Erziehung“ an der Universität Münster im Fach Pädagogik promoviert. In Tübingen hat er, wie es im Rückblick scheint, sehr bald mit beeindruckender Konsequenz darauf hingearbeitet, eine „Wissenschaft der Leibesübungen“ zu begründen, für die er spätestens 1965 auch schon vorsichtig die Bezeichnung „Sportwissenschaft“ erwog. Dabei war die Universität Tübingen mit ihrer großen geisteswissenschaftlichen Tradition nicht das einfachste Umfeld für dieses Projekt. Dass es dennoch gerade hier gelang, machte den Erfolg umso überzeugender - und ermutigender für andere.
Schon in seinen frühen programmatischen Abhandlungen äußert Grupe die Überzeugung, dass die zu begründende Wissenschaft nur als Gemeinschaftswerk möglich sein würde, in das Beiträge aus verschiedenen etablierten Wissenschaften einzubringen wären. Welche das sein sollten und welche Fragen sie anzugehen hätten, welches Feld damit die neue Wissenschaft insgesamt zu bearbeiten hätte, das hat Grupe sehr bald mit zwei richtungweisenden Sammelbänden vermittelt: „Sport und Leibeserziehung“ (1967), „Einführung in die Theorie der Leibeserziehung“ (1968). In diesen Bänden beweist Grupe erstmals seine Fähigkeit, nicht nur seine Mitarbeiter für das große Projekt zu begeistern, sondern auch ausgewiesene Wissenschaftler anderer Fächer als Partner zu gewinnen. Aus den einleitenden Überlegungen, die er den Bänden vorangestellt hat, wird deutlich, dass er in dem Ensemble der wissenschaftlichen Fächer und Zugänge, die hier versammelt sind, der Pädagogik eine integrierende und orientierende Rolle zuweisen möchte.
Insofern kann es als entscheidender Durchbruch für die Begründung einer Sportwissenschaft angesehen werden, dass die Philosophische Fakultät der Universität Tübingen im Jahr 1967 Grupes Abhandlung unter dem Titel „Die Leiblichkeit des Menschen und die Aufgaben der Leibeserziehung“ als schriftliche Habilitationsleistung für das Fachgebiet Erziehungs-wissenschaft annahm. Damit war die Entscheidung verbunden, die Theorie der Leibeserziehung als akademisch gleichwertiges Teilgebiet der universitären Erziehungs-wissenschaft anzuerkennen. Die venia legendi (Lehrbefugnis) wurde nach leidenschaftlicher Diskussion in der Fakultät jedoch für eine „Sportwissenschaft“ ausgestellt, die mehr als nur ein Teilgebiet der Erziehungswissenschaft sein sollte. 1968 wurde der Privatdozent Grupe auf die neu eingerichtete ordentliche Professur für Sportwissenschaft berufen.
An der Universität Tübingen gab es damit erstmalig in West-Deutschland das Recht, in einem Fach namens Sportwissenschaft zu promovieren und zu habilitieren. Damit entstand eine Aufbruchsstimmung, die viele junge Wissenschaftler auch von weit her an Grupes Institut lockte. Sein Sportwissenschaftliches Kolloquium am Dienstagabend war über viele Jahre die fruchtbarste und wirksamste Institution für die Förderung des sportwissenschaftlichen Nachwuchses, die es je gegeben hat. Dabei war das Kolloquium offen für Doktoranden und Habilitanden aus der ganzen Breite der Sportwissenschaft, mit Ausnahme lediglich der Sportmedizin. Grupe hat über viele Jahre Qualifikationsarbeiten nicht nur zur Pädagogik und Didaktik des Sports betreut, sondern auch zur Geschichte, Soziologie, Psychologie und Philosophie des Sports, zur Bewegungslehre und zur Trainingslehre. Erst als in Tübingen und anderswo weitere Professuren für Sportwissenschaft mit allen akademischen Rechten eingerichtet und besetzt wurden, konnte Grupe sich auf seine Kerngebiete konzentrieren.
Die Jahre von 1968 (!) bis 1972 können im Rückblick als die Take-off-Phase der Sportwissenschaft bezeichnet werden. Es war eine aufregende Zeit. In der Vorbereitung auf die Olympischen Sommerspiele in München, bei denen erstmals zwei deutsche Mannschaften gegeneinander antreten sollten, gab es für die junge Sportwissenschaft hohe Erwartungen und entsprechenden Rückhalt aus Sportorganisation und Sportpolitik. Ommo Grupe trug wesentlich dazu bei, die Chancen zum Aufbau von Strukturen zu nutzen, und übernahm auch selbst Verantwortung: 1970 wurde das Bundesinstitut für Sportwissenschaft gegründet, Grupe wurde Vorsitzender des Kuratoriums und blieb es bis 1997; 1971 erschien das erste Heft der Zeitschrift „Sportwissenschaft“, geschäftsführender Herausgeber wurde Grupe und blieb es bis 2004. Unglaublich, wie er schon das alles geschafft hat, und zwar nicht irgendwie, sondern gründlich durchdacht, gut geplant, heute würde man sagen: nachhaltig.
Nur für eine Funktion wurde eine kleine Auszeit vereinbart: 1968 hatte Grupe vom DSB-Vorsitzenden Willi Daume für seine Habilitationsschrift die Carl-Diem-Plakette erhalten, die höchste Auszeichnung für wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet des Sports. Nun sollte er Vorsitzender des Preiskuratoriums werden. Diese Funktion hat er erst für den Wettbewerb 1973/1974 übernommen, dann jedoch den Wettbewerb um die Plakette bis 2007 mit großem Engagement geleitet und in seinem Rahmen immer wieder herausragende sportwissenschaftliche Arbeiten auszeichnen können.
Vorher gab es jedoch noch Wichtigeres zu tun: 1972 sollte in der Woche vor den Olympischen Spielen dieser unglaubliche Weltkongress unter dem Titel „Sport in unserer Welt – Chancen und Probleme“ stattfinden. Grupe war von Willi Daume, inzwischen Organisationschef der Spiele, als Leiter der Wissenschaftlichen Kommission eingesetzt worden; er war damit hauptverantwortlich für das wissenschaftliche Programm und die Redaktion der fast 1000 Seiten Kongresspublikation. Mit diesem einzigartigen Kongress mit 2200 Teilnehmern aus 72 Ländern und Referenten aus 30 Ländern. war es öffentlich: Es gibt eine Sportwissenschaft, sogar weltweit und in beiden Teilen Deutschlands.
Ich habe mir vorgenommen, diesen Nachruf auf Ommo Grupes Beitrag zur Begründung der Sportwissenschaft zu begrenzen. Der Prozess der Begründung war mit dem hier Dargestellten auf einem guten Weg. Grupe hat ihn befördert und gestaltet wie kein anderer, er hat die Sportwissenschaft auch danach auf ihrem Weg über viele Jahre begleitet. In einem Nachruf für die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) ist am Ende lediglich noch eine diesen Prozess prägende Institution zu betrachten, das ist die dvs selbst. An ihrer späten, etwas turbulenten Gründung im Jahr 1976 hat sich Ommo Grupe nicht beteiligt; er ist auch erst nach einiger Zeit der Beobachtung Mitglied geworden, wurde dann aber bald ein aktives, ein konstruktives und kritisches Mitglied. Der von ihm und seinem Tübinger Team im Jahr 1982 organisierte 5. Sportwissenschaftliche Hochschultag unter dem Thema „Spiel-Spiele-Spielen“ war wohl einer der besten, jedenfalls der bestbesuchte und mit den prominentesten Referenten bestückte aller Hochschultage. In seinem Referat bei der Veranstaltung zum zehnjährigen Bestehen der dvs im Bundesinstitut für Sportwissenschaft machte er – noch heute lesenswert – elf Entwicklungsdefizite der jungen Sportwissenschaft aus, die bis heute nicht behoben sind.
Im Jahr 2009 hat die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft Ommo Grupe für sein Lebenswerk zu ihrem ersten Ehrenmitglied ernannt. Es wird nie ein würdigeres geben.
Dietrich Kurz