Forscher in der Sportwissenschaft und Festredner beim 10. Geburtstag der dvs
Der renommierte Hamburger Soziologe Prof. Dr. Klaus Heinemann ist im 85. Lebensjahr verstorben. Er war in der Sportwissenschaft und in den Sportorganisationen kein Unbekannter: „Der Sportverein“ lautet im Jahre 1994 nicht nur der Titel einer 452-seitigen Buchpublikation zusammen mit seinem Schüler Manfred Schubert, der Sport insgesamt war eines seiner Hauptarbeitsfelder in organisationssoziologischer Betrachtung.
In seiner empirischen Studie mit der repräsentativen Befragung von rund 5.500 Sportvereinen (1994 erstmals in Ost- und Westdeutschland!) setzte er die Reihe der vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (damals Köln, heute Bonn) in Auftrag gegebenen sog. „Finanz- und Strukturanalyse der deutschen Sportvereine“ (FISAS) fort, die später mit der Reihe der Sportentwicklungsberichte der Kölner Forschergruppe um Prof. Dr. Christoph Breuer fortgeführt wurde.
Im Deutschen Sportbund (DSB), eine der Vorläuferorganisationen des heutigen Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), war Klaus Heinemann von 1973 bis 1989 u.a. Mitglied des wissenschaftlichen Beirates, ab 1978 sogar dessen Vorsitzender. In diese Zeit fiel u.a. auch die Planung und Durchführung des richtungsweisenden Kongresses „Menschen im Sport 2000“ im November 1987 in Berlin, den Heinemann wesentlich mitgeprägt hat. Er selbst war hier im Plenum mit einem sog. „Problemreferat“ zu der Frage: „Sind Einheit und Selbstbestimmung des Sports in Gefahr?“ vertreten.
Norbert Wolf, langjähriger Leiter der Abteilung „Wissenschaft und Bildung“ im DSB und später u.a. DSB-Generalsekretär, erinnert sich gern an die Zeit mit Heinemann und die wertschätzende Zusammenarbeit mit ihm: „In all seinen Funktionen beim DSB war es Klaus Heinemann stets vordringlichstes Anliegen, seine soziologischen Erkenntnisse auf alle Bereiche des Sports zu übertragen. Dadurch hat er auch vielen Kooperationen des DSB mit den außersportlichen Institutionen unserer Gesellschaft den Weg bereitet.“
Generationen von Sportstudierenden haben sich mit Heinemanns „Einführung in die Soziologie des Sports“ (1980 und gleichzeitig Band 1 der von Ommo Grupe herausgegebenen Reihe „Sport und Sportunterricht“) auseinandergesetzt; allen, die im fortgeschrittenen Studium oder danach selbst empirisch arbeiten, für die wird teilweise bis heute noch Heinemanns Werk „Einführung in Methoden und Techniken empirischer Forschung im Sport“ (Schorndorf 1998) als Standardlektüre empfohlen. Heinemann war auch einer der ersten, der die in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik aufkommende Arbeitslosigkeit von Akademikern auch im Sport zum Thema machte und über neue Formen der Erwerbstätigkeit (z.B. ABM im Sportverein) forschte. Einer der von ihm herausgegebenen Sammelbände (zusammen mit Knut Dietrich) trägt den Titel „Der nicht-sportliche Sport“ (Schorndorf 1989) und beschäftigt sich mit jenen „sportiven“ Entwicklungen und Angeboten außerhalb von Sportorganisationen.
Heinemann war u.a. auch stellvertretender Vorsitzender des Direktoriums des Bundesinstituts für Sportwissenschaft; er war zwischen 1981 und 1990 Herausgeber der Zeitschrift „International Review for the Sociology of Sport“. Anlässlich des 10. Geburtstages der 1976 gegründeten Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft hielt Heinemann einen von vier Festvorträgen vor rund 50 geladenen Gästen in Köln – hier über: „Die Zukunft des Sports – Herausforderung für die Sportwissenschaft. Zur Konzeption einer offenen, innovativen Sportwissenschaft“.
Darin entfaltet er Vorstellungen von einer Sportwissenschaft als ein offenes System, bei dem die „Sportwissenschaftler bestrebt sind, ihrem Fach Anerkennung und Einfluss zu verschaffen“. Am Ende seines Vortrags wendet er sich direkt an die dvs, in der er selbst (weil „nur“ Soziologe) nie Mitglied werden wollte: „So kann ich der dvs nur dringend empfehlen, das Erkenntnisprogramm einer künftigen Sportwissenschaft – etwa in Arbeitsgruppen und Tagungen – intensiv zu diskutieren, auszuformulieren und auch offensiv zu propagieren. Öffnungsschneisen, Innovationsfelder und Planungsbereiche sind Herausforderungen für die Sportwissenschaft, in denen sie offensiv werden muss. Sie muss die Herausforderungen annehmen, damit vermieden wird, was ich eingangs als mögliche Gefahr angedeutet habe: Die Entwicklung der Sportwissenschaft zu einem zwar liebenswerten, aber wenig beachteten Orchideenfach“.
Klaus Heinemann wurde am 15. Oktober 1937 in Hamburg geboren und studierte in Karlsruhe zunächst Wirtschaftsingenieurwesen. Er promovierte mit einer Arbeit über Produktionseffekte und ihre Bedeutung für die Wirtschaftspolitik. Seine Habilitation handelte über die „Grundzüge einer Soziologie des Geldes“. Heinemann nahm 1970 eine Professur für Soziologie an der Universität Trier an und war von 1981 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2001 Hochschullehrer für Soziologie an der Universität Hamburg.
Nicht nur beruflich beschäftigte er sich mit dem Sport und der Sportwissenschaft. Das aktive Sporttreiben war auch seine gelebte Leidenschaft – sei es z.B. beim Wandern in den Alpen, beim Golf und am ausgeprägtesten noch bei seinem geliebten Segelsport auf hoher See. Klaus Heinemann ist am 23. Januar 2022 verstorben, wie die Universität Hamburg jetzt mitteilt.
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann (Leibniz Universität Hannover, dvs-Geschäftsführer von 1985 bis1989)