Nachruf Christian Wopp
Christian Wopp und die Sportentwicklung

Völlig überraschend ist Prof. Dr. Christian Wopp am 27. April 2012 in Oldenburg gestorben. In einer öffentlichen Trauerfeier am 10. Mai haben sich Kollegen, Freunde und Mitarbeiter aus ganz Deutschland von ihm verabschiedet. Die Gedenkrede hielt Dr. Jürgen Lüthje, ehemaliger Präsident der Universität Hamburg und seinerzeit Kanzler der Universität Oldenburg.
Christian Wopp wurde am 3. Oktober 1947 in Osnabrück geboren. Sport und Mathematik studierte er mit dem Ziel des Lehramtes. Doch statt Schule wählte er die Mitwirkung in einer Sportorganisation. So wurde er Bildungsreferent beim Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband (adh) in Darmstadt. Schon dort beschäftigte ihn die Frage nach dem "Sport für alle".
So wurde nach der Trimm Aktion des Deutschen Sportbundes 1970 und nach vielen Kampagnen für den Freizeitsport einer breiteren Bevölkerung sein Interesse, auch "vor Ort" mitzuwirken, immer stärker. Daher bewarb er sich 1973 auf die Stelle des Leiters des Hochschulsportes an der neu gegründeten Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg. Dort gab es bereits ein "Zentrum für Freizeitsport", dort konnte er von 1977-1981 am "Modellversuch Freizeitsport" mitwirken. von 1982-1985 wurden mit seiner maßgeblichen Beteiligung die neuen Universitätssportanlagen orientiert an freizeitsportlichen Kriterien entwickelt und modellhaft gebaut.
Christian Wopp hat sich lebenslang mit dem Thema "Sportentwicklung" beschäftigt. Was ist der richtige Sport für die Bevölkerung? - war seine ständige Frage. Denn der Leistungs- und Spitzensport konnte nicht das Vorbild "für alle" sein. Welche Alternative ist zu entwickeln? Wie schafft man Motivation und Identifikation mit einem persönlichen Sport, frei von genormten Leistungsansprüchen?
Eine Antwort fand er in der bestehenden, aber damals wenig beachteten Spiel- und Bewegungskultur von Pantomime, Clownerie, circensischen Bewegungskünsten, Schattenspielen, Bewegungstheater, New Games, aber auch in den asiatischen Bewegungsformen und dem Afro-Tanz.
So integrierte er in den von ihm geleiteten Hochschulsport diese Ausdrucksformen von Körper und Bewegung in ein Konzept "Alternativer Spiel- und Bewegungskultur" als Ergänzung zu den traditionellen Sport- und Spielangeboten. Diese Impulse wurden vielfach und begeistert aufgenommen. Und daraus entwickelten sich in Oldenburg eigenständige Organisationsformen wie die "Zirkusschule Seifenblase", der Mitmachzirkus "Rämmi Dämmi", der "Spielefant" als eine Urform des Spielmobils usw.
Aber auch gegenüber den traditionellen Spiel- und Sportangeboten der Vereine wurden neue Entwicklungen angeschoben, z. B. "Schnupperangebote", "Behinderte und Nichtbehinderte speilen zusammen", "Arbeitslose Lehrer helfen arbeitslosen Jugendlichen", "Wochenendsport", "Tempodrom" (wöchentliche Fitnessgymnastik für mehr als dreihundert studentische Teilnehmer), "Spezielle Seniorengymnastik", "Sportfreizeiten" usw.Sportdidaktisch setzte er den "Abbilddidaktikern" eine "schülerorientierte" Didaktik entgegen, die sich am Probieren und Experimentieren beim Lösen von Bewegungsproblemen orientierte. Wopp suchte bei den Menschen nach bisher verborgenen Bewegungstalenten und sah besonders in gemeinsamen Zirkusprojekten die Chance, "alle" Kinder für Spiel, Sport und Bewegung zu faszinieren.
Auch wissenschaftlich beschäftigte sich Christian Wopp intensiv mit der Frage von Sportentwicklung und dem "richtigen" Sport für alle. 1986 promovierte er an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg zum Thema "Selbstständigkeit durch Sport aus handlungstheoretischer Sicht" und 1994 qualifizierte er sich mit der Habilitationsschrift "Analysen und Perspektiven des Freizeitsports". 1997 wechselte Christian Wopp auf die ordentliche Professur für Sportwissenschaft an der Universität Osnabrück, lehrte und forschte im Bereich von Sport und Gesellschaft. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehörten auf der Folie einer systematischen Trendforschung die Analyse und Planung der Sportentwicklung in Sportverbänden, -vereinen und Kommunen. Er entwickelte Strategien zur Zukunftsgestaltung des Sports, führte zahlreiche Zukunftswerkstätten mit den Landessportverbänden und Sportfachverbänden durch. Für den Deutschen Fußball-Bund entwarf er 2006 einen Fußballentwicklungsplan. Für die urbanen Zentren Berlin, Hamburg und Hannover sowie weitere Kommunen entwickelte er unter Einbeziehung der Menschen und Institutionen vor Ort zahlreiche Sportentwicklungspläne, die in jüngster Zeit umgesetzt wurden.
Christian Wopp engagierte sich in den Universitäten Oldenburg und Osnabrück auf allen Ebenen der akademischen Selbstverwaltung, auch als Dekan, Sprecher des Fachgebietes Sportwissenschaft und als Senator. In der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft fungierte er als Sprecher der Kommission "Sport und Raum".
Seine zahlreichen Publikationen umfassen Monografien, Handbücher zum Freizeit- und Trendsport sowie eine Vielzahl von Beiträgen für Sammelwerke und Zeitschriften.
Für ihn war es ein besonderes Anliegen, durch eine handlungsorientierte Hochschullehre "mit Kopf, Herz und Hand" junge Menschen für die Sportwissenschaft und -pädagogik zu begeistern. Studierende lud er ein, Erfahrungen und Erkenntnisse durch Projektarbeit zu gewinnen.
Die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft, Kollegen und Mitarbeiter trauern um einen profilierten Sportwissenschaftler, aber auch um einen initiativen, kreativen und sozial engagierten Menschen, der die Entwicklung des "Sport für alle" in Deutschland maßgeblich mit geprägt hat.
Jürgen Dieckert & Ulf Gebken
14. Mai 2012