Sportwissenschaftler der Universität Osnabrück äußern Bedenken gegen den Fitnesstest des Niedersächsischen Kultusministeriums
Der von Seiten des Niedersächsischen Kultusministeriums durchgeführte Fitnesstest stößt nicht nur auf heftige Kritik bei Lehrerinnen und Lehrern und Eltern. Auch von Seiten der Sportwissenschaft an der Universität Osnabrück bestehen erhebliche Bedenken, einen solchen Test für alle Schülerinnen und Schüler der Klassen 1 bis 10 durchzuführen.
Seit Jahren ist bekannt, dass 15 bis 20 Prozent der Kinder motorische Ungeschicklichkeiten aufweisen. Daher ist es nicht erforderlich, weitere Belege für diesen Sachverhalt zu sammeln. Gut ausgebildete Sportlehrerinnen und Sportlehrer kennen ohnehin die motorischen Stärken und Schwächen ihrer Schülerinnen und Schüler. Bestenfalls sind Stichproben unter repräsentativen Gesichtspunkten hilfreich. Wenn die Diagnose hinlänglich bekannt ist, dann wird die momentane Situation nicht durch zusätzliche Messungen verbessert, sondern in erster Linie durch einen umfangreichen und qualitativ hochwertigen Sportunterricht. Stattdessen wird in Niedersachsen der Sportunterricht in der Grundschule von 3 auf 2 Stunden wöchentlich gekürzt und über 50 Prozent des Sportunterrichts an Grundschulen wird von nicht ausgebildeten Sportlehrerinnen und Sportlehrern erteilt. Es drängt sich die Frage auf, wozu der Fitnesstest dienen soll, wenn er nicht zu einer Verbesserung des Schulsports beiträgt?
Bedauerlich ist, dass zu dem Test im Vorfeld keine niedersächsischen, sportwissenschaftliche Einrichtungen konsultiert wurden. Insbesondere an der Universität Osnabrück liegen umfangreiche Erfahrungen zur Konzipierung und Durchführung motorischer Tests vor. Durch Konsultationen hätten einige Fehler, die jetzt mit dem Test gemacht werden, vermieden werden können. Es hätte von Seiten der Sportwissenschaft deutlich gemacht werden können, dass sich die tatsächliche Fitness von Schülerinnen und Schülern nicht mit Hilfe sieben einfacher Übungen messen lässt, die aus einem Fitnesstest stammen, der den wissenschaftlichen Anforderungen an ein standardisiertes Verfahren nicht gerecht wird.
Fitness beinhaltet eine physische und psychische Leistungsfähigkeit und setzt sich nicht nur aus Armkraft, Beinschnellkraft und Ausdauer zusammen. Somit ist der Test weder valide, da durch die Übungen nicht die Fitness gemessen wird, noch objektiv, da bei der Durchführung große Abweichungen möglich sind. Nach eigenen Beobachtungen wurden in den Schulen die Tests teilweise verändert, um den Kindern zu starke Misserfolge zu ersparen. Erschwerend kommt hinzu, dass Erstklässler und Schülerinnen und Schüler aus den 10. Klassen denselben Test durchführen sollen.
Spätestens seit Durchführung der PISA-Studien ist bekannt, dass Kompetenzen mit Hilfe von Problemlösungsprozessen und nicht durch das möglichst schnelle Wiederholen von Übungen erworben werden. Durch den Fitnesstest entsteht der Eindruck, dass der Sportunterricht sich auf Rumpfbeugen und Klimmzüge reduziert. In einem zeitgemäßen Sportunterricht hingegen werden neben der Verbesserung der motorischen Leistungsfähigkeit auch Freude am Sport, Sozialverhalten und ein verantwortungsvoller Umgang mit dem eigenen Körper vermittelt. Der Fitnesstest bietet dazu keinerlei Anregungen.
Aus Sicht der Sportwissenschaft sollte aufgrund der verfehlten Zielsetzung, der inhaltlichen und messtechnischen Probleme und des hohen organisatorischen Aufwandes, durch den wertvolle Zeit für den Sportunterricht verloren geht, der Fitnesstest an niedersächsischen Schulen nicht weiter durchgeführt werden. Vielmehr sollten alle Anstrengungen darauf abzielen, den Sportunterricht an den Schulen auszuweiten und inhaltlich zu verbessern. Motivierte Schülerinnen und Schüler würden sich über solche Maßnahmen ebenso freuen wie engagierte Sportlehrerinnen und Sportlehrer und dankbare Eltern.
Prof. Dr. Peter Elflein
PD Dr. Ina Hunger
Dr. Reinhard Jansson
Prof. Dr. Christian Wopp
Prof. Dr. Renate Zimmer
Osnabrück, den 7.12.2005